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Der Beginn einer selbstbestimmten und ideologiefreien Jugendarbeit in Amelinghausen nach 1945

Am 17. April 1945 besetzten die Engländer Diersbüttel, Amelinghausen und Sottorf. Eine gewisse Angst vor dem, was nun kommen würde, war durchaus vorhanden; im Dorf war jedoch die Freude über das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft groß. Von Anfang Februar bis zur Besetzung durch die Engländer waren immer mehr Flüchtlinge aus Ostpreußen und Pommern gekommen, die alle untergebracht und versorgt werden mussten. Das war nicht einfach, zumal Lebensmittel - auch für die Einheimischen - sehr knapp waren. Ihre Erzählungen über die Flucht vor den herannahenden Russen haben viele im Dorf überzeugen können, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war.  Dennoch gab es einige Wenige, die noch an den sogenannten „Endsieg“ glaubten. Was auch immer mit dem Wort gemeint war! Allen voran die 12- bis 18-jährigen HJ-Jungen, denen man eingeimpft hatte, dass der Krieg mit Mut und Einsatzbereitschaft noch gewonnen werden könne. Ein gewisser Herr Brügge, ein hochrangigerer Nazi, kam im Februar als Flüchtling nach Amelinghausen und gab die strikte Anweisung, die  HJ-Jungen an der Panzerfaust auszubilden, damit sie  zusammen mit den Männern vom Volkssturm das Dorf verteidigen konnten. Die von ihnen verlangte Kampfbereitschaft sollten sie  auch an den Volkssturm weitergeben. Für die Verteidigung lagen in der Sottorfer Molkerei über 200 Panzerfäuste. Gott sei Dank haben die Eltern versucht, den Elan ihrer Kinder zu dämpfen.

Die Engländer konnten zum Glück beide Dörfer mehr oder weniger kampflos einnehmen, weil die belgische SS und die meisten Wehrmachtsoldaten sich schon Ende März 1945 in Richtung Soltau abgesetzt hatten. Die Vierlingsflak, die auf dem Schlangenberg in der Nähe der ehemaligen Kieskuhle stand, war nicht mehr da. Somit konnte auch mit Hilfe der Hitlerjungen kein Widerstand geleistet werden. Wäre sie zum Einsatz gekommen, hätten die Engländer das Dorf in Schutt und Asche gelegt. 
Am 17. April war der Spuk der Nationalsozialisten vorbei und die Bevölkerung musste sich auf eine neue Zeit einstellen.
Den HJ-Jungen war jetzt bewusst geworden, was man ihnen die ganzen Jahre vorgegaukelt hatte. Die Bilder, die sie bis dahin von Engländern, Franzosen und Russen in öffentlichen Medien zu sehen bekommen hatten, erweckten den Eindruck von unzivilisierten Menschen und sollten ein Gegenbeispiel zur arischen Rasse sein. Als Horst Stelter (Jahrgang 1932) die englischen Soldaten zum ersten Mal sah, sagte er ganz erstaunt: „Mensch, die sehen ja genau so aus wie wir.“
Die Jugend war jetzt für eine kurze Zeit auf sich selbst angewiesen. Bis zum Herbst gab es auch keinen Schulunterricht. Das sollte sich aber bald ändern, denn Anfang Juli 1945 kam ein junger ehemaliger Offizier aus der Kriegsgefangenschaft nach Amelinghausen und fand beim Gastwirt und damals auch noch Landwirt Schenck Unterkunft und Arbeit. Die Dorfbewohner wurden schnell auf Gerhard Roick aufmerksam, denn er scheute die Arbeit nicht, hatte viele Ideen, sprach fließend Englisch – was für die Kommunikation zwischen dem Dorf und der englischen Militärverwaltung von großem Vorteil war - und kümmerte sich sehr schnell um die Dorfjugend. Schon wenig später hatte man ihn zum Jugendpfleger bestimmt. 
Das erste offizielle Jugendtreffen  fand am 26. März 1946 im Saal von Gastwirt Studtmann statt (heute Rathaus).
Zum 27./28. April 1946 lud die Kreisjugendpflegerin alle Jugendleiter und Jugendleiterinnen und auch die Jugendgruppenleiter der Sport- und Turnverbände zu einer Tagung ein, auf der „von berufenen Vertretern Vorträge über die Probleme der Jugendarbeit zu hören … waren und um … deren praktische Auswertung durchzusprechen.“ Man sieht, es geht hier um eine völlig neue Ausrichtung der Jugendarbeit. 
Vom 4. Mai – 14 .Mai 1946 fand im Schaufenster von Schneidermeister Heinrich Drewes eine Ausstellung statt, die die Arbeiten der Amelinghausener  Jugend zeigen sollten. Die Mädchen hatten Baby- und Kindersache genäht und die Jungen Spielzeug aus Holz angefertigt. Nach der Ausstellung wurden die Sachen verteilt. 
Leutnant Harper und Major Dick von der englischen Militärverwaltung waren der Einladung  gefolgt und  von der hiesigen Jugendarbeit begeistert.
Es hat wohl auch daran gelegen, dass Gerhard Roick den Dolmetscher spielte und alle Fragen der Engländer gut beantworten konnte. Das gute Verhältnis zwischen Roick und den beiden Engländern sollte für ihn später von großem Vorteil sein. Dazu  mehr in der April-Ausgabe.